Christian Lindner ist das Gesicht der FDP und eine zentrale Persönlichkeit der Opposition. Am Donnerstag war er zu Gast im digitalen Mittags-Meeting, einer Veranstaltungsreihe der Wirtschaftsvereinigung für den Kreis Steinfurt (WVS), der Aktiven Unternehmen im Westmünsterland (AIW) und am Niederrhein (AAN) sowie des Wirtschaftsverbandes Emsland. Über 130 Teilnehmer waren zugeschaltet und löcherten den Politiker mit Fragen von der Pandemie-Bewältigung über die Familienstärkung bis zur Taxonomie, moderiert von Andreas Brill (AIW/AAN), Heiner Hoffschroer (WVS) und Mechtild Wessling (WV Emsland).
Begrüßt wurde die Forderung Lindners, die Corona-Krise nicht weiterhin durch flächendeckende Lockdowns zu bewältigen, sondern durch mittlerweile verfügbare andere Mittel wie FFP2-Masken, Luftfilter und Hygienekonzepte. „Wenn wir damit bis zur Herdenimmunität warten, sind die wirtschaftlichen Folgen verheerender als das Virus selbst“, sagte Lindner. Während Deutschland seine Wirtschaftsprognose nach unten korrigiere, stünden andere Länder im Startblock für die Aufholjagd. „Öffnung ist verantwortbar“, sagte der Politiker. Er forderte, Haus- und Betriebsärzte in die Impfung einzubeziehen, sich von der starren Impfreihenfolge zu verabschieden, die Impf-Logistik aufzubauen und keine Impfstoff-Reserven anzulegen: „Jede Impfung verspricht mehr Schutz und mehr Freiheit.“
Mit Verweis auf das „Management-Desaster“ der Regierung in der Pandemie forderte Lindner eine Staatsreform: „Das gut geordnete Gemeinwesen, an das wir lange geglaubt haben, ist eine Lebenslüge“, sagte er, „ich wünsche mir, dass Corona die Aktivierungsenergie ist, um Dinge nun wirklich einmal anzugehen.“ Gefragt nach der als zerrissen wahrgenommenen Gesellschaft sagte er, das Aufstiegsversprechen müsse erneuert werden. Das persönliche Vorankommen dürfe nicht vom Elternhaus oder vom Namen abhängen. Diesbezüglich forderte er von den Unternehmen, Bewerbern mit Migrationshintergrund aufgeschlossener zu begegnen.
Mit Blick auf die große Zahl an Unternehmen ohne Nachfolger fragten die Moderatoren nach einer Strategie für Lust aufs Unternehmertum. Lindner, selbst einst sieben Jahre lang selbstständig, wünschte sich mehr Respekt für Unternehmer, die Verantwortung übernähmen für Beschäftigte und Betriebszukunft. „Zwischen Häme, wenn ein Unternehmer scheitert, und Neid, wenn er erfolgreich ist, gibt es nichts“, plädierte er für mehr Realismus und für eine Kultur der zweiten Chance.
Auf die Kritik der Teilnehmer an der politischen Fixierung auf Großunternehmen wie die Lufthansa bekannte Lindner sich zu den mittelständischen und Familienunternehmen, deren Zukunft es zu sichern gelte: „Die Stellschrauben sind das Steuerrecht, das Unternehmen in Deutschland weltweit am höchsten belastet, die Energiepreise und die Zurückführung des Bürokratismus auf das europäische Mindestmaß.“ Lindner wandte sich außerdem gegen „Denkverbote“ in der Forschung: „Die Gentechnik hat uns bei Biontech einen Impfstoff beschert“, rief er zu mehr Technologie-Offenheit auf. Mittelstandsforschungsvorhaben sollten steuerlich „geländegängig“ gefördert werden.
Auf die Frage, ob die FDP im Falle einer Regierungsbeteiligung ein verlässlicher Partner für den Mittelstand sei, antwortete Lindner: „Ich gebe Ihnen jetzt eine Garantie: Mit der FDP wird es keine zusätzliche steuerliche Belastung für Beschäftigte geben und für diejenigen, die unternehmerische Verantwortung übernehmen.“
Eloquent und leidenschaftlich, prägnant und gern provozierend bis polemisch: Lindner trat auch in diesem Online-Austausch auf, wie man ihn kennt. Gleichzeitig ließ er sich auf die Fragen der Teilnehmer ein, die sichtlich Freude hatten an den lebendigen und teils spitzen Äußerungen des FDP-Politikers.